Saarbrücker Zeitung

Erschienen 15.09.2005 / SZ (Annemay Regler-Repplinger)

Märchenwelten und Odysseen

Der Merziger Schriftsteller Gustav Regler und die Worpsweder Künstlerfamilie Vogeler

Die geliebte Frau an Gustav Reglers Seite über Jahrzehnte hinweg, Marie Luise Vogeler, stammte aus einer damals wie heute bekannten Familie. Die Nichte des Schriftstellers ,Annemay Regler-Repplinger, zeigt deren Lebenswege auf, ebenso wie die vielfältigen Kontakte zu Künstlern , Schriftstellern und Oppositionellen.

Das helle Kind des dunklen Worpsweder Moores, Marie Luise Vogeler-Regler, starb im September vor 60 Jahren im heißen Aztekenland Mexiko. Sie war ihrem Lebensgefährten Gustav Regler, meinem Onkel, dorthin ins Exil gefolgt.
Ihre Sehnsucht blieb immer das Moor, auch wenn die Menschen und die Vielfalt der Kultur des Gastlandes sie anzogen. Die Anfänge ihres kurzen Lebens liegen in Worpswede.
Ihre Kindheit war geprägt durch die Idylle und zugleich künstlerische Aufbruchstimmung dieser Umgebung. Die "Barkenhoff-Familie", das waren nicht nur die Eltern Heinrich Vogeler und seine Muse Martha Vogeler-Schröder mit ihren drei Töchtern.
Dazu zählten vor allem auch Rainer Maria Rilke, Otto Modersohn, Paula Becker und Clara Westhoff. Gespräche über Kunst, Literatur und Musik, fröhliche Feste und Theateraufführungen, sonntägliche Teerunden, an denen Gäste wie Gerhart Hauptmann, Max Reinhardt, Richard Dehmel und Thomas Mann teilnahmen, kennzeichnen die Lebensinsel ihrer ersten Jahre. Diese war überschaubar, künstlich und künstlerisch abgegrenzt durch die vom Vater entworfene Kleidung, den Schmuck, die Architektur und Inneneinrichtung.
Die Ausstrahlung, die Marie Luise (gen. Mieke) Vogeler schon in früher Kindheit besaß durch ihr zartes und großäugiges Aussehen, zog nicht nur den Vater in Bann, der sie porträtierte („Erster Sommer“ 1902, „Im Frühling 1903“), sondern auch Paula Modersohn-Becker. Wenigen ist bewusst, dass das Gemälde der Künstlerin „Mädchen mit Perlenkette“ von 1902 Mieke darstellt.
Dieses Umfeld war eine paradiesische Stätte, eine bessere Welt, eine Abkehr von der Außenwelt, die für alle Beteiligten so nicht immer weiter bestehen konnte. Vom Märchenhof zur Kommune Barkenhoff - das wurde für die Menschen in diesem Hause zu einem langen, schmerzhaften Prozess.
Das Bewusstsein seiner künstlerischen Orientierungslosigkeit trieb Heinrich Vogeler schließlich von seiner Familie weg. Mit wachen Sinnen sammelte er Eindrücke auf seinen Reisen nach Ceylon, Polen, England, die sein Engagement für das Allgemeinwohl weckten. Auch die Erlebnisse des Ersten Weltkrieges trugen dazu bei, dass Heinrich Vogeler seine bisherige bürgerliche Welt hinter sich lassen wollte und sich kommunistischen Idealen verschrieb.
Das ihnen zugedachte neue Rollenspiel auf dieser politischen Experimentierbühne "Kommune und Arbeitsschule Barkenhoff" wollte seine Frau Martha Vogeler schließlich nicht mehr mittragen. Zudem befand sich die Ehe schon länger in einer Krise. So verließ sie im Sommer 1920 mit den drei Töchtern den Barkenhoff und zog in das Haus im Schluh, wo es ihr gelang, für sich und die Heranwachsenden eine zweite Heimat zu schaffen und ihre und deren künstlerische Neigungen zu fördern und zu verwirklichen.
Gustav Regler und Mieke Vogeler lernen sich dort 1928 kennen. „Sie war das Mädchen, an das ich nicht glauben wollte“.
Eine unbeschwerte gemeinsame Zeit folgte zunächst. Nach dem Motto "arm, aber glücklich", eroberten sie sich Paris und dort vor allem den Louvre, stürzten sich in das vibrierende Berlin, reisten in die friedvolle Welt der Provence. Gustav schrieb, Mieke malte. Immer wieder zog es beide auch nach Worpswede, wo sie eine neue Generation Literaten und Künstler trafen wie Georg von der Vring, Manfred Hausmann, Lisel Oppel, Tetjus Tügel, Albert Schiestl-Arding.
Die Jahre ab 1928 waren aber auch durch die politischen Interessen und Aktivitäten Gustav Reglers bestimmt. Schon die gemeinsame Wohnung im so genannten Roten Künstlerblock in Berlin, dort, wo sich zahlreiche Berufs- und Gesinnungsgenossen wie Arthur Koestler, Ernst Busch, Erich Weinert, Erich Mühsam und Ernst Bloch aufhielten, setzte Akzente. Die alternative Kulturkolonie von Fritz Jordi, dem Schweizer Sozialisten und Buchdrucker, Fontana Martina am Lago Maggiore, zog Regler ebenfalls an. Hier trafen sie auch den Vater Heinrich Vogeler wieder. Dessen kommunistische Idealvorstellungen beeinflussen Regler und sind sicherlich auch mitbestimmend für seinen Eintritt in die KPD gewesen.
Der wachsenden braunen Macht und Gewalt setzte Gustav Regler sein Engagement entgegen durch Vorträge und Reisen nach Südfrankreich, Straßburg, Luxemburg, der Saar. Seine Lebensgefährtin begleitet ihn meist. Auch nach Paris ins Exil, als Gustav Regler im Geburtsland ausgebürgert wurde. Sie lebten dort in sehr einfachen Verhältnissen. Der Verkauf der Zeichnungen von Marie Luise half über manche Engpässe hinweg. Leider hat daher der künstlerische Nachlass der Vogeler Tochter auch so einen geringen Umfang. Hauptsächlich um ihren Vater Heinrich, der seit 1931 mit seiner neuen Familie in Moskau lebte, nach langer Zeit wieder zu sehen, begleitete sie Gustav Regler 1934 zum 1. Allunionskongress der Sowjetischen Schriftsteller und blieb einige Monate dort, lernte russisch, unternahm mit Freunden und dem Vater Reisen in die Wolgaregion und in den Kaukasus. Zeitweise ließ sie sich von dessen Sowjetbegeisterung für den Neuen Menschen anstecken.
Die Jahre 1936/37 wurden zur besonderen Prüfung für Marie Luise Vogeler. Nachdem Gustav Regler sich zu den "Internationalen Brigaden" im Spanischen Bürgerkrieg gemeldet hatte, hörte sie längere Zeit nichts von ihm. Er galt als vermisst. Da schien es fast Erleichterung zu sein, als sie von seiner schweren Verwundung erfuhr, sich zu ihm durchschlug und ihn, wie auch andere Verwundete, pflegte.
Die Reise nach Amerika, der Erholungsaufenthalt bei Hemingway gaben ihr neue Lebensfreude und künstlerische Schaffensfreude zurück. Der nächste Rückschlag folgte: die Verhaftung von Gustav Regler, seine Internierung im Lager Vernet. An seiner Freilassung hatte sie durch hartnäckiges Intervenieren maßgeblichen Anteil. Ungeachtet aller Nöte, auch gesundheitlicher Art, blieb sie weiter seine Gefährtin und folgte ihm schließlich auch ins Exil nach Mexiko, nachdem beide auf dem Weg dorthin in New York im Juni 1940 auch legal ein Paar wurden.
Die Kampagne im Asylland gegen den Renegaten verstörte naturgemäß auch seine Frau. Aber der Freundeskreis der surrealistischen Maler und Dichter wie Wolfgang Paalen und Benjamin Péret, gaben auch Stärke und künstlerischen Ansporn.1942 begann die Krebserkrankung von Marie Luise, der sie am
21. September 1945 dann erlag. Die Erinnerung an Marie Luise Vogeler-Regler bleibt durch die literarischen Zeugnisse von Gustav Regler über seine treue Lebensbegleiterin erhalten.
„Nie eine Sicherheit und Geld“
Begegnungen der Merzigerin mit der Vogeler-Nachkommenschaft
Bühne frei für Vogeler – das gilt noch bis in die heutige Zeit. Nicht nur, dass eine rührige und kundige Nachkommenschaft von Heinrich Vogeler in Worpswede sein Andenken auf vielfältige Weise in Erinnerung hält, sondern es interessieren auch andernorts dessen Lebensumstände, Ideen und Wirkung. So wurde von Johann Kresnik, dem berühmten und streitbaren Theaterregisseur und Choreographen im April 2003 im Schauspielhaus Bremen die Uraufführung eines Stückes über Heinrich Vogeler gebracht.
Zu korrigieren gilt es einen Eindruck vom Maler, den man durch den Spielfilm „Brennendes Herz“ (SR 1996) vermittelt bekommen hat. „Der geniale Trunkenbild im Teufelsmoor“, wie Gustav Regler in seiner Autobiographie „Das Ohr des Malchus“ formulierte, betraf den damals ob dieser Neigungen allseits bekannten Maler Tetjus Tügel und nicht seinen künftigen Schwiegervater, wie der Film glauben macht. Den Halbbruder von Marie Luise ,Jan Vogeler, aus der zweiten Ehe mit Sonja Marchlewska, lernte ich noch kennen. Die letzten Jahre hatte er sich - nach einem bunten Lebenslauf - auch im idyllischen Worpswede niedergelassen. Er blieb zwar ein wenig unruhig, hatte zudem noch viele Pläne bezüglich Bücherschreiben und Filmemachen.
Insbesonders seine Sicht der Stalin-Ära wollte er vermitteln. Immerhin war seine Mutter Sonja die Tochter des polnischen Revolutionärs und Lenin-Freundes Julian Marchlewski gewesen. Vor allem jedoch seine Jugenderlebnisse während der stalinistischen„Säuberungsaktionen“ waren für Jan Vogeler prägend. Geboren in Moskau, fühlte er lange Zeit auch als Sowjetbürger ,wurde Soldat der Roten Armee, war Mitglied der KPdSU bis zu deren Ende 1990 und hat dort eine gewisse Karriere gemacht, bevor er nach Deutschland kam. Bemerkenswert für mich ist, dass er in der Rückschau offen eine selbstkritische Beurteilung für die Verantwortung der russischen Kommunisten während der Zeit des Stalinismus formulierte.
Spannend für mich als Zuhörerin waren auch die subjektiven Erinnerungen von Wolfgang Leonhard und Markus Wolf als weitere Zeitzeugen. (verkürzt gesagt: vom Schriftsteller und vom Meisterspion). Schon als deutsche Emigrantenkinder waren die Drei in den 30er Jahren in Moskau zusammen gewesen. Dann trennten sich ihre ideologischen und beruflichen Wege. Die Frage nach Gut und Böse beantworten die Drei immer noch etwas unterschiedlich...
Gerne erinnere ich mich auch noch an die beiden Schwestern von Mieke: Bettina Müller-Vogeler und Martha (Mascha) Schnaars-Vogeler. Weberin und Pensionswirtin haben mir jede auf unterschiedliche Art die gemeinsame Jugendzeit mit der Ältesten in Gesprächen farbig wiedergegeben. Mascha notierte spontan für mich einen Kommentar: „Wir Künstlerkinder sind in einem unruhigen Leben groß geworden. Nie eine Sicherheit und Geld.[...]Aber Gustav war ja auch ein Künstler.[...] Ihre Idee für Frieden und Gleichheit der Menschen. Ich weiss, dass Gustav mit ihr sehr glücklich war“.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

mehr im Internet:
www.regler.name
www.haus-im-schluh.de
www.barkenhoff-stiftung.de

„Licht sei sein Loos,
Ist der Herr nur das Herz und die Hand
des Bau's,
mit den Linden im Land
wird auch sein Haus
schattig und groß.
A.D.99.“
Hausspruch von Rainer Maria Rilke
für Heinrich Vogelers Barkenhoff

 

AUF EINEN BLICK

Marie Luise Vogeler-Regler
Am 23.12.1901 in Worpswede auf dem Barkenhoff geboren. 1918 Ausbildung zur Goldschmiedin, 1919 Studium an der Kunstgewerbeschule, Bremen. Entwürfe und Anfertigung von Schmuckstücke und kunstgewerblichen Arbeiten. Zeitlebens Grafiken und Zeichnungen ,meist Aquarelle, vorrangig aus der Natur. Ab 1928 bis 1945 mit Gustav Regler zusammen. Tod am 21.9.1945 in Coyoacán/Mexiko nach einer langjährigen Krebserkrankung.
Heinrich Vogeler (1872 –1942)
Vater von Marie Luise. Mit seinen frühen Grafiken und Gemälden leistete Vogeler einen bedeutenden Beitrag zum Jugendstil. Ab 1894 arbeitete er in der Künstlerkolonie von Worpswede, gestaltete u.a. Bücher, Möbel und Innenausstattungen. Nach dem
1. Weltkrieg wandelte sich seine Malerei zur Agitprop-Kunst, die er in einem futuristischen Stil gestaltete. Vogeler lebte ab 1931 in der Sowjetunion, später zwangsweise in Kasachstan, wo er auch starb.
Martha Vogeler, geb. Schröder (1879-1961)
Mutter von Marie Luise. Weberin.
Jan Vogeler (1923-2005)
Halbbruder von Marie Luise.
emer. Professor der Philosophie der Lomonossow Universität Moskau, Gastprofessor an der Karl-Marx-Universität Leipzig

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Marie Luise Vogeler und Gustav Regler
Foto: © Archiv Regler